Armenfürsorge während Renaissance und Reformation

In diesem Artikel wird ausführlich die Veränderung der gesellschaftlichen Hilfe während der Epoche der Renaissance sowie Reformation erklärt (ca. 14. – 16.  Jahrhundert).

Grundlegende wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen zu der Zeit

Während dieser Epoche lässt sich im Vergleich zum vorhergehenden Mittelalter ein grundlegender gesellschaftlicher Wertewandel feststellen.

Die antiken Wissenschaften wurden wiederentdeckt und nach dem Grundgedanken des Humanismus, welcher sich in dieser Zeit entwickelte, wurde der Mensch nun als gestaltbar bzw. erziehbar angesehen.

Es kam zu vielen technischen Innovationen  ( Gewehre, Buchdruck, etc.) und auf wirtschaftlicher Ebene gab es die ersten Ansätze von freiem Unternehmertum sowie Kapitalismus. Der Außenhandel mit anderen Ländern blühte und das gesellschaftliche Leben spielte sich immer mehr innerhalb der Städte und nicht mehr auf dem Land ab.

Im Rahmen des Protestantismus wurde erstmals der Ablasshandel der katholischen Kirche kritisiert.

Hilfe-Formen und Armut während Renaissance und Reformation

Im Gegensatz zur „gottgegebenen und gottgewollten“ Armut im Mittelalter, wurde diese nun als Folge menschlichen Versagens  bzw. als Versagen der Gesellschaft angesehen. Es wurde erstmals als öffentliche bzw. staatliche Aufgabe angesehen, den notleidenden Menschen so zu „erziehen“, dass dieser eine Arbeitsstelle fand.

Ebenfalls das Betteln wurde nicht mehr als „völlig normal“ betrachtet, sondern geriet in Verruf. Jeder Mensch sollte eine Arbeit haben, und – falls dies nicht der Fall war – sollte ihm eine vermittelt werden. Arbeit an sich war nun auch nicht mehr negativ besetzt wie im Mittelalter, sondern durchaus positiv – der Leistungsgedanke etablierte sich fest innerhalb der Gesellschaft.

Die Hilfe wurde im Vergleich zum vorherigen Almosen-System nun wesentlich umfangreicher organisiert:  So entstanden die ersten Bettelordnungen, welche die Armenfürsorge:

  1. rationalisierten: Es wurden feste Kriterien für die Hilfsbedürftigkeit festgelegt.
  2. kommunalisierten: Die Kommunen und Städte und nicht mehr ausschließlich die Kirche waren nun für die Hilfe zuständig.
  3. pädagogisierten:Die Hilfe wurde an bestimmte Bedingungen geknüpft, Arbeitsstellen wurden vermittelt.
  4. bürokratisierten: Es wurden Verwaltungsstellen und Ämter für die Hilfeleistungen gegründet, welche nun dokumentiert wurden.

Es gab allerdings noch viele Personen ( „Vagabunden“, Tagelöhner, „Selbständige“) die durch dieses Raster hindurchfielen. Ebenso wurden teilweise Arme aus den Städten geschickt, damit sich diese nicht um sie kümmern mussten.

Die Erziehung zur Arbeit während Renaissance und Reformation

Der Gedanke der „Erziehung zur Arbeit als gesellschaftliche Aufgabe“ trat zu dieser Zeit in den Vordergrund. Er wurde theoretisch insbesondere von Juan Luis Vives (1492 – 1540) in 4  Prinzipien formuliert:

  1. Arbeitspflicht: Jeder Mensch, insbesondere die Armen und Arbeitslosen sollten zur Arbeit verpflichtet werden.
  2. Bedürftigkeitsprüfung: Es sollte ganz genau geprüft werden,wem in welchem Umfang staatliche Hilfe zustand
  3. Öffentliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen: Menschen, die keine Arbeit hatten, sollte der Staat bzw. die Kommune einen Arbeitsplatz vermitteln.
  4. Erziehung der Armen zur Arbeit: Die Armen sollten zur Arbeit sowie „nützlichen Gesellschaftsmitgliedern“ erzogen werden.

Kinder- und Jugendfürsorge während Renaissance und Reformation

Hierbei sollten natürlich insbesondere auch die Jugendlichen „zur Arbeit erzogen werden“. In der Praxis wurden diese Ansätze allerdings nur teilweise und nicht in gesamtgesellschaftlichem Umfang umgesetzt.

In Bezug auf die Kinder- und Jugendfürsorge bildeten sich zu dieser Zeit insbesondere zwei verschiedene Ansätze:

  1.  Vives: Die öffentliche Erziehung von Kindern in Waisenhäusern mit dem Ziel, den Jungen eine Arbeit zu ermöglichen sowie die Mädchen auf die zukünftige Ehe vorzubereiten 
  2. Nürnberger Armenordnung: Kinder sollten ihre Familien durch Arbeit unterstützen, daher sollte ihnen zumindest eine Ausbildungsstelle vermittelt werden, damit sie eine Arbeit lernen konnten.

Die Ursache der Veränderungen: Das neue Bürgertum

Dieser gesamtgesellschaftlicher Werte- und Moralwandel, welcher zu dem neuen Umgang mit Armut sowie Arbeit und zur umfangreicheren Organisation & Veränderung der Hilfe führte, hatte seine Ursache im Aufstieg des Bürgertums.

Diese soziale Mittelschicht etablierte sich erstmals in großem Umfang neu in der Gesellschaft. Durch den aufkommenden Handel sowie neue Innovationen schaffte es diese neue soziale Schicht, großen gesellschaftlichen Einfluss zu erlangen.

Dementsprechend wurden dadurch natürlich auch die Werte-und Moralvorstellungen des Bürgertums in großem Umfang in die Gesellschaft integriert:

Der Leistungsgedanke, das neue Armutsverständnis, die neuen organisierten öffentlichen Hilfeleistungen – dies alles sind bürgerliche Werte, die zusammen mit dem Bürgertum im großen Stil in die Gesellschaft Einzug erhalten haben.

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